Was haben Autoverwerter und die K.a.p.u.t.t. GmbH mit Catena-X zu tun? Ein Bericht aus der SHZ vom 25.08.2021: BMW, Daimler, Volkswagen, BASF, SAP - die Mitglieder des Projekts Catena-X lesen sich wie das Who is Who der deutschen Wirtschaft. Ein Name fällt auf – nicht nur, weil er zum Schmunzeln einlädt: die Kaputt GmbH. Das Unternehmen sitzt in der Pinneberger Automeile an der Haderslebener Straße. Dort wird seit den 1990er Jahren die Betriebssoftware eCar für Autoverwerter entwickelt. 325 der rund 600 Autoverwerter in Deutschland nutzen die Software, in der mehr als 1,15 Millionen Teile erfasst sind. Nun spielt das Unternehmen bei den ganz Großen mit. Daimler, Volkswagen und BMW haben sich Ziele für die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen gesetzt und wollen den Ressourcenverbrauch generell senken. Dabei geht es vor allem um Lieferketten. „Die Automobilindustrie schließt eine Lücke. Bisher hat man Autos produziert, auf den Markt gebracht, diese wurden gefahren und sind dann bei den Autoverwertern versickert“, sagt Hagen Hamm, Geschäftsführer Autoteilekaufhaus Pinneberg und Auto-Rundumservice sowie Berater der Kaputt GmbH. „Wir sind diejenigen, die die Branche kennen, die Abläufe und die Kontakte zu den Verwertern haben. Das machen wir bereits seit den 1990er Jahren“, sagt Hamm. „Wir haben Anfang der 1990er Jahre festgestellt, dass man einen Autoverwerter-Betrieb gut organisieren muss, sonst endet es wie bei den Ludolfs“, erläutert Hamm. Die vier Brüder aus dem rheinland-pfälzischen Dernbach erreichten mit der Schrottplatz-Dokumentation auf DMAX Kultstatus. In acht Staffeln wurde der Alltag – und oft das Chaos – auf dem Schrottplatz gezeigt. „So sah es bei vielen Autoverwertern aus, auch bei und war es früher so“, sagt Hamm. Daher setzte er schon Mitte der 1990er Jahre auf Digitalisierung. „Das klingt seltsam, da diese für viele erst ab 2000 startete“, erläutert er. Es begann mit einem selbstgebastelten Computerprogramm, 2003 wurde die Kaputt GmbH gegründet. „Es sollte ein Name sein, der sich sofort einprägt. Man muss nur einmal Kaputt GmbH sagen und dann vergisst es keiner mehr“, sagt Hamm lachend. Damals gab es rund 1000 Autoverwerter, heute sind es noch gut 600. „Es ist schwierig, für wenige Anwender eine teure und komplizierte Anwendung zu haben. So richtig Geld kann man mit Altautos nicht mehr verdienen, daher muss es eine tolle Anwendung geben, die bezahlbar bleibt“, erläutert Hamm. Schon damals sei klar gewesen, dass es kein Wachstumspotenzial gebe. „Jetzt hat der große Bus vor der Tür gehalten“, sagt er. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt Catena-X mit einer halben Milliarde Euro. Die Kaputt GmbH soll den Bereich der Autoverwerter abdecken. Der Förderbescheid ist vergangene Woche eingegangen. „Auf unserer lieben Welt ist seit den 1990er Jahren viel passiert. Wir wissen wie lange das Mineralöl und andere Rohstoffe, die immer weniger werden, reichen. Es macht keinen Sinn, Müllberge höher und höher werden zu lassen“, sagt Hamm. Der Zusammenschluss der Automobilbranche unter Catena-X soll die Nachverfolgbarkeit von Produkten sicherstellen – erst deutschland-, dann europa- und schließlich weltweit. „Das Auto ist der zweitgrößte Rohstoffträger der Welt nach der Baubranche. Es geht darum, den Verbrauch zu senken. Dafür muss klar sein, wo Produkte landen“, sagt Hamm. „Wir sind jetzt vollwertiger Partner neben den ganzen Dax-30 Unternehmen“, erläutert Hamm und wirkt selbst noch überrascht: „Das hätte ich mir so nie geträumt, dass wir das Bindeglied in so einem Konstrukt sind. Die Lücke wird von einfachen Autoverwertern geschlossen, für die sich früher niemand interessiert hat.“ „Als die erste E-Mail kam dachte ich, es ist eine Spam-Mail, wie man sie ständig bekommt“, erinnert sich Hamm. „Ich habe mir erklären lassen, was da alles geplant ist.“ Nun ist man mitten drin im Konzert der Großen. Die Aufgabe für die Pinneberger Softwareentwickler: Die Fachbereiche Recycling und Autoverwertung in das Netzwerk implementieren. „Langfristig dürften die Kosten fallen, was vielleicht beim Endkunden ankommt“, vermutet Hamm. Denn die Nachverfolgbarkeit der einzelnen Autoteile biete den Herstellern auch die Chance, mehr über die Qualität zu erfahren, diese besser oder langlebiger zu entwickeln – oder so, dass sie besser recycelt werden können. Die Hersteller sollen nachweisen können, wie viel CO2 durch Recycling von Teilen eingespart wird und so den ökologischen Fußabdruck verbessern. „Die Frage ist, wie es gelingt, dass der zweitgrößte Rohstoffträger, das Auto, nicht mehr versickert. Klimaneutralität fängt ja damit an, CO2-sparend zu produzieren, damit nicht mehr so viele Rohstoffe verloren gehen“, erläutert Hamm. Ab Werk werden die Autoteile mit einem „Digital Twin“ (zu deutsch: Digitaler Zwilling) ausgestattet. Dort sind Gewicht, Produktionsdatum, die Anzahl der Recyclingvorgänge, genutzte Rohstoffe und vieles mehr digital erfasst. „Man kann somit Teile sortenrein sammeln und besser recyceln. Wenn ich beispielsweise Kunststoff nicht sortenrein sammle, kann ich nur minderwertiges Plastik herstellen oder es thermisch verwerten. So besteht die Chance, die Recyclingquote deutlich zu erhöhen“, sagt Hamm. Offiziell ist das Projekt Anfang August gestartet. Volkswagen hat erst kürzlich seine Mitwirkung zugesagt. Experten gehen daher davon aus, dass die Cloud-Lösung Catena-X Standard in der Automobilbranche wird. Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt, dann soll es funktionieren. In Pinneberg wird ein Teil beigetragen. Dafür wird das Programmiererteam von derzeit elf auf rund 20 Mitarbeiter quasi verdoppelt. „Wir haben viele Jahre in einer Wegwerfgesellschaft gelebt, in der es günstiger war, neu zu produzieren, als zu reparieren oder zu recyceln. Wir sind stolz, bei dem anstehenden Wandel mitzuwirken“, sagt Hamm. Seine Prognose: „Bessere Nutzung von Rohstoffen, bessere Luft, wir lassen noch etwas für unsere Kinder und Kindeskinder über und Produkte werden besser und sicherer.“ Gaia-X Die Automobil-Cloud Catena-X basiert auf der europöischen IT-Infrastruktur Gaia-X. Gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur sollen entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund sind Offenheit, Transparenz und europäische Anschlussfähigkeit nach Aussage des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zentral für Gaia-X. Vertreter aus mehreren europäischen Ländern beteiligen sich aktiv am Projektgeschehen. Das digitale Ökosystem soll dafür sorgen, dass Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa heraus wettbewerbsfähig sein können. Der Name des Projektes leitet sich von einer der ersten aus dem Chaos entstandenen griechischen Gottheit Gaia ab, die in der Mythologie als personifizierte Erde für die Gebärerin steht. |